Buchvorstellung

Liebenswert, tiefgründig, sensationell!

„Rico, Oskar und die Tieferschatten“ ist das erste der Rico und Oskar Bücher von Andras Steinhöfel, illustriert von Peter Schössow, erschienen im Carlsen Verlag.

Inhalt:

Rico bezeichnet sich selbst als „tiefbegabt“ und lebt mit seiner Mutter in einem Mehrparteienhaus in Berlin. Er kann sich am besten Wege merken, die geradeaus gehen und kann zwar viel denken, braucht dafür aber halt etwas länger. Als er den hochbegabten Oskar trifft, der zwar Miss Marple nicht kennt aber dafür sonst sehr viel weiß, bahnt sich eine Art Freundschaft zwischen den beiden unterschiedlichen Kindern an.

Und dann ist ausgerechnet Oskar das 6. Entführungs-Opfer des ALDI-Kidnappers, der in ganz Berlin für Schlagzeilen sorgt. Auch Mister 2000 genannt, fordert dieser für die Freilassung der Kinder von den Eltern 2000,- € Lösegeld und stellt als Bedingung, dass keine Polizei eingeschaltet wird. Obwohl keiner Rico richtig ernst nimmt und er aufpassen muss, dass die Bingokugeln in seinem Kopf ihm keinen Strich durch die Rechnung machen, ist letztendlich er es, der Oskar findet und befreit.

Umschlagtext:

Eigentlich soll Rico ja nur ein Ferientagebuch führen. Schwierig genug für einen, der leicht den roten Faden verliert – oder war er grün oder blau? Als er dann auch noch Oskar kennenlernt und die beiden dem berüchtigten Entführer Mister 2000 auf die Spur kommen, geht in seinem Kopf alles ganz schön durcheinander. Doch zusammen mit Oskar verlieren sogar die Tieferschatten etwas von ihrem Schrecken. Es ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft …“

Mein Fazit:

An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Frau Damm vom Carlsen Verlag, die mich auf der Buchmesse supernett und ausführlich durch das Carlsen-Programm geführt hat, das noch weit mehr umfasst als ich bisher kannte. Und noch größeren Dank für diese tolle Buch-Empfehlung! Nicht verwunderlich, dass „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ sogar mit dem Deutschen Jugendliteratur Sonderpreis ausgezeichnet wurde.

Ich habe mit meinem Sohn zusammen angefangen das Buch zu lesen. Bei Büchern, die mehr Text als Bilder haben ist das meist eine gute Brücke um erstmal das Interesse zu wecken ;-). Und das ging schneller als gewollt, denn bereits am nächsten Tag meinte er, er könne jetzt nicht immer warten bis ich mitlesen kann…

Gleich im ersten Kapitel haben wir richtig gelacht und den liebenswerten Rico ins Herz geschlossen. Es gab Stellen, bei denen ich beim Vorlesen erstmal schlucken musste, letztendlich haben uns diese aber schöne Brücken gebaut. So sind etwa Hängemöpse, Krebs und Alkoholiker keine Themen, über die wir besonders oft sprechen ;-), vorhanden sind diese im Kopf eines 10jährigen aber vermutlich schon.

Das Buch liest sich flüssig und spannend. Schreibstil und Sprache sind schön zu lesen und absolut kurzweilig. Es gab mitunter Ausdrücke, über die ich lachend den Kopf geschüttelt habe, aber so ist die Sprache der fast-Teenies eben. Und wenn der Fitzke (wohnt im vierten Stock) halt einfach ein schmuddeliger Idiot ist, dann ist daran auch nichts schön zu reden. Einzelne wohl berliner Ausdrücke erklären sich aus dem Context. Er verwendet viel kurze Sätze und die einzelnen Kapitel sind nicht zu lang. Absätze, viele Dialoge und „Erklärkästen“ machen den Text übersichtlich.
In den „Erklärkästen“ beschreibt Rico schwierige Begriffe oder Fremdwörter, die er im Lexikon nachgeschlagen hat. Ein Beispiel:

ILLEGAL: Wenn man etwas nicht tun darf, weil es verboten ist. LEGAL heißt, es ist erlaubt und EGAL bedeutet, dass man nur so tut, als wäre etwas Verbotenes erlaubt. Dafür, dass man so tut, als wäre was Erlaubtes verboten, gibt es kein ähnliche Wort. REGAL ist ja schon besetzt.“

Ricos beschriebene Gedanken versetzen einen wunderbar in den Kopf eines Kindes und sind wirklich bewegend und nachvollziehbar. Beispielsweise spart er für eine mögliche Entführung durch Mister 2000 vorsichtshalber in seinen Reichstag (Spardose). So kann seine Mutter sich im Fall der Fälle zumindest einen Teil von ihm als Erinnerung freizukaufen…

Rico geht besonders gerne bei den anderen Mitbewohnern im Haus aus und ein. Er besucht z.B. oft Frau Dahling, die sich von ihrem Mann getrennt hat. Dann sitzen sie zusammen auf dem Sofa, essen „Müffelchen“ (Schnittchen hätte ich dazu gesagt, jetzt hat sich bei uns das Wort Müffelchen eingebürgert, weil das so nett klingt :-)) und schauen Filme. Wenn Frau Dahling das „graue Gefühl“ hat darf es kein Liebesfilm sein, was Rico nur recht ist, da er eh lieber Miss Marple sieht.

Als Oskar nicht wie versprochen zu ihrer Verabredung kommt, beschäftigen Rico zahlreiche Gedanken und Gefühle. Das geht von Langeweile über Enttäuschung bis hin zu Wut. Als er dann bei Frau Dahling in den Nachrichten hört, dass Oskar das neueste Opfer des Kidnappers ist, schämt er sich fast der vorherigen Gedanken. Vor lauter Angst, dass die Polizei ihn auseinandernehmen würde wie Miss Marple ihre Verdächtigen, und dass die Bingomaschine in seinem Kopf durchdreht, sagt er lieber nicht, dass er mit Oskar verabredet gewesen wäre.

Er überwindet seine Ängste vor den Tieferschatten, die im unbewohnten Hinterhaus spucken. In der Sorge um seinen Freund kann er sogar sehr gut kombinieren und schafft es, Oskar zu finden und zu befreien.

Alles in Allem:

Ein absolutes Spitzenbuch, gerade auch für Jungs, wo die Büchersuche sich nicht ganz so einfach gestaltet. Rico ist so liebenswert und trotz seiner vermeintlichen Unzulänglichkeiten so normal, dass man sich wunderbar in ihn hineinversetzen kann. Und das ist denke ich etwas, was Kindern sehr hilft, zu verstehen, dass man nicht immer der Beste, Schlauste und Coolste sein muss, um toll zu sein! Die Altersangabe von 10-12 Jahren finde ich etwas zu knapp bemessen, ich bin sicher, dass bereits 9 jährige und viele weit ältere von diesem Buch nur profitieren können.
Von mir 5 von 5 Sternen!

Infos zum Buch:

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten
Autor: Andreas Steinhöfel
Illustrator: Peter Schössow
Verlag: Carlsen
Umfang: 224 Seiten
empfohlenes Alter: 10-12 Jahre (mein Tipp: 9 bis 99 :-))
Gebundene Ausgabe:
Erscheinungsjahr: 2008, ISBN: 978-3551555519, Preis: 12,90 €
Taschenbuch:
Erscheinungsjahr: 2011, ISBN: 978-3551310293, Preis: 6,99 €

www.carlsen.de

Ergänzende Infos April 2014:

Im Carlsen-Verlag sind folgende Rico und Oskar Titel erschienen:

• Rico, Oskar und die Tieferschatten (siehe Beschreibung oben)
• Rico, Oskar und das Herzgebreche
  Das hat mein Sohn nur als Hörspiel gehört und ich kann dazu nicht viel sagen. Er fand sie gut, mich hat allerdings etwas irritiert, dass es nur 1 CD war.
• Rico, Oskar und der Diebstahlstein
  Mich persönlich hat das dritte Buch der Rico und Oskar etwas enttäuscht, vielleicht bin ich aber auch mit zu großen Erwartungen ran gegangen. Bei diesem Titel hat mir die charmante Leichtigkeit des ersten Bandes gefehlt. Einiges fand ich für meinen 10jährigen Sohn echt krass und zu düster. Irgendwie ging es ständig um Depressionen (was ja beim ersten Band mit dem „grauen Gefühl“ noch schön beschrieben war) oder zumindest kam es bei mir so rüber. Die Abweisungen, die Oskar von seinem psychisch kranken Vater erleben muss und die Gedanken, die die Kinder sich darüber machen, halte ich für sehr grenzwertig. Das geht vielleicht noch, wenn man das Buch zusammen liest, aber wenn ein Kind das alleine liest bin ich mir nicht sicher, was das für Gedanken aufwerfen kann.
  Leider waren die „Erklärkästen“, die wir im ersten Band geliebt haben, hier höchstens zum schmunzeln und ernteten von uns auch öfters ein „Hä? Versteh ich nicht.“.
  Ich hätte vielleicht sogar vor dem Ende mit dem Buch aufgehört. Mein Sohn fand es aber gut und hat das wohl alles nicht so gesehen wie ich.